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SZ vom 20.02.1997


Seehofers neue Rezepte

Ärzte müssen bei Verschreibungen künftig Richtgrößen einhalten. Von Budgets mag Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) nichts mehr wissen. Nachdem er Ende vorigen Jahres bereits die Krankenhausbudgets auslaufen ließ, will er nun auch die letzten Ausgabenlimits im deutschen Gesundheitswesen, die Arznei- und Heilmittelbudgets, abschaffen. In den Koalitionsgesprächen zur dritten Stufe der Gesundheitsreform einigten sich die Spitzen von CDU/CSU und FDP darauf, die Ausgaben für Medikamente von 1998 an nicht mehr durch feste Vorgaben zu begrenzen. Damit hat die Koalition dem Druck von Kassenärzten und Pharma-Industrie nachgegeben, die in den Budgets eine medizinisch unbefriedigende Behinderung der Ärzte bei ihren Verschreibungen sahen. Lange haben sich die Arzneimittelbudgets im Gesundheitswesen nicht gehalten. Nicht einmal vier Jahre ist es her, daß der Gesundheitsminister sie gegen den Widerstand der Ärzteschaft durchdrückte. Seitdem werden die Budgetgrenzen jährlich von Kassen und Ärzten in den insgesamt 23 Bezirken in Deutschland neu ausgehandelt und sollen dafür sorgen, daß die Ärzte sparsamer als bisher verordnen. Schließlich droht ihnen bei Überschreitungen der Ansätze, daß sie für allzu großzügiges Verordnen mit ihren eigenen Honoraren haften müssen. Dieser Sanktionsmechanismus hat zu Beginn gut funktioniert. Denn obwohl den etwa 100 000 Kassenärzten für 1993 ein Ausgangsbudget vorgegeben wurde, das um mehrere Milliarden Mark unter den Ausgaben von 1992 lag, verordneten sie bis 1994 weniger als erlaubt. So gaben die Krankenkassen nach eigenen Angaben 1993 etwa 5,3 Milliarden Mark und 1994 gut 2,6 Milliarden Mark weniger aus als vor der Budgetierung. Erst 1995 wurden die Konten erstmals überzogen. In neun der 23 Bezirke verordneten die Ärzte mehr als vorgesehen und überschritten damit ihre Limits um insgesamt 870 Millionen Mark. Hochrechnungen gehen davon aus, daß das Defizit im vergangenen Jahr sogar auf 1,8 Milliarden Mark angewachsen ist. Gescheitert sind die Budgets letztlich nicht an mangelnder Wirkungskraft. Die Arzneimittelkosten lagen 1995 nur um 0,2 Milliarden Mark über dem Niveau von 1992. Das eigentliche Manko der Budgetierung von Arzneimittelausgaben waren die fehlenden Möglichkeiten, die vorgesehenen Regreßzahlungen von den Ärzten auch wirklich einzufordern. Denn den Kassen fehlten die arztspezifischen Zahlen, um diejenigen Mediziner zu belangen, die durch großzügiges Ausstellen von Rezepten zu einer Überschreitung der Budgets beigetragen haben. In Sippenhaft wollte die Ärzteschaft aber niemand nehmen. Da folglich ein Überschreiten der Budgetgrenzen ohne Konsequenzen blieb, verlor das System der Ausgabendeckelung sehr schnell seine Glaubwürdigkeit. Künftig soll es keine absoluten Ausgabengrenzen mehr geben. Die Koalition will die Budgets durch sogenannte Richtgrößen ersetzen. Dabei wird für jede Facharztgruppe ein Wert ermittelt, der dem durchschnittlichen Bedarf eines Patienten an Arznei- und Heilmitteln entspricht. Dieser Wert bildet dann die Höchstgrenze dafür, wieviel ein Arzt im Durchschnitt pro Patient verordnen darf. Diese Neuregelung steht zwar bereits als Option im Gesetz, wurde freiwillig aber bisher nicht genutzt. In Zukunft bleibt den Kassen keine andere Wahl.


Quelle: Marc Hujer, SZ-ONLINE: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutscher Verlag GmbH, München