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Quelle: Welt am Sonntag, 15.08.1993


Bundesgerichtshof verstärkt Datenschutz für Patienten

Von SABINE RICHTER

Hamburg

Den Ärzten droht nach den Querelen infolge des Gesundheitsstrukturgesetzes neues Ungemach. Die insbesondere bei Fach-, Krankenhausärzten und Spezialisten übliche und seit Jahrzehnte bewährte Praxis, den mit der privaten Liquidation verbundenen Büroaufwand einer Verrechnungsstelle zu übergeben, ist unzulässig, wenn der Schutz der Individualsphäre des Patienten gefährdet erscheint. Das vom Karlsruher Bundesgerichtshof bereits vor einem Jahr getroffene Urteil ist kürzlich mit einer neuen BGH-Entscheidung zur Abtretung einer Anwaltsforderung, die auch die Honorarforderungen von Ärzten betrifft, bestätigt und konkretisiert worden. Das Urteil legt fest, daß der Patient seine ausdrückliche Zustimmung geben muß; ein mündliches oder stillschweigendes Einverständnis, etwa nach einem Wartezimmeraushang, reicht demnach nicht aus.

Die Entscheidung dürfte die Arbeit der ärztlichen Verrechnungsstellen erheblich komplizieren oder sogar ihr Aus bedeuten. Der Patient kann seine Zustimmung jederzeit widerrufen. Der auf der Hand liegende Weg, gleich entsprechende Formulare am Praxiseingang zu deponieren, dürfte kaum geeignet sein, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient zu fördern. Darüber hinaus gelten dafür die Vorschriften des AGB-Gesetzes, und damit das Risiko, daß die Formularzustimmung als unwirksam verworfen wird. Bereits vor rund einem Jahr hatte der BGH ziemlich eindeutig entschieden, daß mit dem Grundsatz der ärztlichen Schweigepflicht nicht in Einklang zu bringen ist, daß der Arzt ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten Honorare von gewerblichen Abrechnungsstellen einziehen läßt. Sie arbeiten wie Inkassobüros und sind nicht an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Es liegt auf der Hand, daß Patienten gerade bei diesen Anlaß zu besonderer Vorsicht sehen, insbesondere wenn es sich nicht um Grippe oder entzündete Mandeln handelt, sondern um schwerwiegende Beeinträchtigungen, die gesellschaftliche oder Arbeitsplatzprobleme mit sich bringen könnten. Denn im allgemeinen wird der Abrechnungsstelle ein krankenscheinähnliches Formular übergeben, auf dem mit Daten und Behandlungsziffern meist auch die Diagnose vermerkt ist. Dies allein schon deswegen, um dem Patienten Identifikation und Kontrolle der oft erst Monate später eintreffenden Rechnung zu ermöglichen.

Es sei zu schließen, so der Hauptgeschäftsführer der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Rainer Hess, daß das Urteil auch für die privatärztlichen Verrechnungsstellen Konsequenzen habe, die die Ärzte sozusagen im Verbund betreiben, und die in die Schweigepflicht einbezogen sind. Die Rechtslage werde aber als ,,noch nicht eindeutig geklärt" angesehen. Genaugenommen schwebe nach dem Urteil jedenfall ein Teil der Abrechnungen im rechtsfreien Raum.

Die Ärzte seien aufgeklärt und auf die neuen Erfordernisse hingewiesen, in welchem Umfang sie sich daran hielten, sei der Bundesärztekammer nicht bekannt, sagt ihr Justitiar Dieter Schirmer. Er räumt ebenfalls ein, daß die Weitergabe der Rechnung und damit auch der Vorgang des Einziehens, ohne Einwilligung des Patienten unzulässig ist.

Wenn Schirmer aber davon ausgeht, daß es ausreiche, wenn der Patient in einer langjährigen Behandlungsbeziehung bisher anstandslos die Rechnungen der privatärztlichen Verrechnungsstelle bezahlt und damit ,,seine stillschweigende Zustimmung gegeben hat‘‘, dürfte dies kaum mit dem BGH-Urteil zu vereinbaren sein, denn das spricht von einer ,,ausdrücklichen Zustimmung"; die weder mündlich gegeben, noch sich schlüssig aus den Umständen ergeben darf.

Der Patient habe, solange er größtmöglichen Datenschutz genieße, im allgemeinen Verständnis für eine rationelle Abrechnungsmethode, er müsse aber auf jeden Fall aufgeklärt werden, fordert Rainer Hess. Bei Patienten, die nicht einverstanden sind, müsse der Arzt dann "in den sauren Apfel beißen und selbst liquidieren". Was die gewerblichen Verrechnungsstellen beträfe, würde sich der Arzt weit von der eigenen Berufsauffassung entfernen, wenn er weiterhin mit ihnen zusammenarbeite.