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Private Krankenversicherer locken mit Billigtarifen


von Elke Dolle-Helms

Abschied vom Luxus

Der Elementar-Tarif ist gut für Sie und Ihr Budget", wirbt die Colonia Krankenversicherung für ihre neue Offerte, eine Billigpolice mit abgespeckter Leistung. Auch andere Anbieter machen sich für eine neue, schlanke Variante der Krankenversicherung stark, darunter Vereinte, DKV , Central, Inter, Universa, Signal und Victoria. Bis zu dreißig Prozent spart der Kunde im Vergleich zum traditionellen Topschutz. Voraussetzung: Er muß auf Luxusleistungen verzichten. Ohne Zweifel trifft die PKV-Branche mit ihrem Vorstoß bei vielen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen einen wunden Punkt. Die Offerte zielt vor allem auf die rund fünf Millionen freiwillig Versicherten, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze (6150 Mark West, 5300 Mark Ost, jeweils ab 1. 1. 1997) überschreitet. Diese Versichertengruppe fühlt sich von den Kassen ohnehin geschröpft: Sie entrichtet schon höhere Beiträge als die Pflichtmitglieder. Künftig soll sie im Rentenalter auch noch Beiträge auf gesetzliche und private Renten sowie auf andere Einkünfte (etwa Mieten oder Zinserträge) zahlen. Gleichzeitig registrieren die freiwillig Versicherten, daß die Leistungen der Kassen immer schlechter werden. So wurde beispielsweise der Zahnersatz für Kinder komplett aus dem Leistungskatalog gestrichen. Kurleistungen sind erheblich schlechter geworden, Zuzahlungen verschiedenster Art werden immer weiter erhöht. Und zu allem Überfluß soll der von vielen Kassen besonders gepflegte Bereich Gesundheitsförderung zum Jahreswechsel entfallen.

Um die Kassen zu effektiverem Wirtschaften zu zwingen, hat sich Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) ein besonderes "Schmankerl" einfallen lassen. Wenn eine Kasse ihre Beiträge erhöht, weil ihr die Kosten aus dem Ruder laufen, sollen sich die Versicherten im Gegenzug stärker an den Kosten beteiligen. Einziger Trost für die dann doppelt strangulierten Kunden: Sie können ihrer Kasse in einem solchen Fall umgehend den Laufpaß geben und sich eine billigere suchen.

Kein Wunder, daß dieses Szenario den privaten Krankenversicherern wieder mehr Zulauf aus den Reihen der freiwillig Versicherten beschert. Lediglich die Schwachen, die kein Privatversicherer aufnimmt, also Kranke, Alte oder große Familien müssen den gesetzlichen Kassen weiterhin die Treue halten. Diese Zielgruppen hat die PKVBranche mit ihren neuen, im Vergleich zur Kasse konkurrenzlos günstigen Angeboten aber gar nicht im Visier. Sie zielt vor allem auf Selbständige, die sich gerade in der Existenzgründung befinden und deshalb monatliche Belastungen gering halten müssen, sowie auf Familien, die wegen ihrer Kinder die höheren Beiträge einer privaten Komfortpolice nicht tragen wollen oder können.

Doch was taugen die neuen Einsteigertarife nun wirklich? Interessenten müssen sich grundsätzlich vom herkömmlichen Luxus des Privatpatienten verabschieden. Das Leistungsspektrum ähnelt eher dem der gesetzlichen Kassen. Im Krankenhaus wird nur noch das Mehrbettzimmer ohne privatärztliche Behandlung bezahlt, beim Zahnarzt gelten vergleichbare Zuzahlungen wie bei den Kassen. Zu beachten ist auch, daß etwa DKV, Central und Victoria ihre Leistungen auf den 2,3fachen Regelgebührensatz begrenzen, bei medizinisch-technischen Leistungen auf das 1,8fache. Der Patient tut also gut daran, vor der Behandlung mit Arzt und Versicherer über die möglichen Kosten zu sprechen, um später nicht auf Teilen der Rechnung sitzenzubleiben. Wichtig zu wissen ist auch, daß die Einsteigertarife verschiedene Leistungen von vornherein ausschließen. Dazu gehören je nach Angebot ambulante Psychotherapie, Kuren, Heilpraktikerbehandlungen, eingeschränkte oder gar keine Leistungen für Sehhilfen und Hörgeräte, Schwangerschaftsunterbrechungen aus anderen als medizinischen Gründen, Sterilisationen und Entziehungskuren jeglicher Art. Die Colonia übernimmt beispielsweise hundert Prozent der Facharztkosten nur dann, wenn vorher der Hausarzt konsultiert wurde. Ansonsten gilt eine Selbstbeteiligung von zwanzig Prozent (Ausnahme Gynäkologen, Augenärzte und Kinderärzte).

Wer diese Einschränkungen akzeptiert, erhält mit einem der Einsteigertarife ein in Preis und Leistung durchaus faires Angebot. Doch glaubt man den Verbraucherschützern, daß "bei Versicherungen immer das Gesetz von der größten Gemeinheit gilt", lassen sich auch bei diesen Offerten Haken und Ösen finden, die der Versicherungsvertreter von sich aus bestimmt nicht anspricht. Ein wichtiges Werbeargument der Gesellschaften ist, daß der Einsteigerkunde später ohne erneute Gesundheitsprüfung in einen Hochleistungstarif umsteigen kann. Dieser Umstieg in einem höheren Alter ist jedoch in der Regel mit finanziellen Mehrbelastungen von einigen hundert Mark verbunden. Schon ein 31jähriger Mann müsse bei einem Wechsel in einen Toptarif extreme Kosten einkalkulieren, warnt der Wiesbadener Makler Peter Zinke. "Alle Billiganbieter und Vermittler handeln verantwortungslos, wenn sie den Versicherten über diesen Kostenschub nicht eindeutig aufklären", resümiert Zinke in dem Vermittlerblatt Kurs.

Besonders schwer wiegt dies vor dem Hintergrund, daß der Kunde kaum Chancen hat, zu einer anderen Gesellschaft zu wechseln. Bei einem Versicherungswechsel würde eine Gesundheitsprüfung verlangt, nach der Risikozuschläge oder im schlimmsten Fall eine Ablehnung drohen. Zu bedenken ist schließlich auch: Die Versicherer können den Preis ihrer Angebote nur mit einer strengen Risikoauslese niedrig halten. Die Colonia will von der neuen Kundschaft sogar über Rauch- und Trinkgewohnheiten informiert werden. Und Brillenträger zahlen von vornherein einen Aufschlag. Colonia-Vorstand Joachim von Rieth räumt ein, daß man auch im Schadensfall genau hinsehen werde. Im Klartext: Besondere Kulanz kann der Versicherte nicht erwarten.

Frustrierte Kassenmitglieder, die in eine private Krankenversicherung umsteigen wollen, sollten sich daher auch über andere Möglichkeiten informieren, wie sie bei der Privatpolice Geld sparen können. Bei allen Gesellschaften können die Hochleistungstarife inzwischen mit mehr oder weniger hohen Selbstbeteiligungen abgeschlossen werden. Dabei übernimmt der Kunde einen vorher vereinbarten Teil der Arztrechnungen selbst. Ein 35jähriger Mann zahlt etwa bei der zum Gerling-Konzern gehörenden Globalen Krankenversicherung im Tarif Akzent pro Jahr 1875 Mark (bei Angestellten übernimmt der Arbeitgeber die Hälfte), wenn er bereit ist, 3600 Mark seiner jährlichen Gesundheitskosten selbst zu zahlen. Ohne Selbstbeteiligung würde die Gesamtprämie 5575 Mark betragen, also 3700 Mark mehr. Von dem Ersparten kann zum Beispiel eine zusätzliche private Altersvorsorge aufgebaut oder für den Fall der Berufsunfähigkeit vorgesorgt werden.

Diese Variante ist vor allem für Selbständige attraktiv. Angestellte müssen dagegen einen Nachteil hinnehmen: Laut Sozialgesetzbuch muß sich der Arbeitgeber nur am Versicherungsbetrag beteiligen, nicht aber am Selbstbehalt. "Damit verhindert der Gesetzgeber die kostensteuernden Wirkungen solcher Angebote", schimpft Karl-Peter Thevessen, Chef der Globalen. Für gesunde Angestellte rechnet sich dennoch das Modell mit der Selbstbeteiligung. Ihre Arztrechnungen werden die Summe von 3600 Mark nur selten erreichen.

(C) DIE ZEIT Ausgabe Nr.46 vom 8. November 1996


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